Mittwoch, 4. Dezember 2013

Anno 1903: Post von Hedwig an Klärchen



Dieser Tage fragte mich ein Besucher, was ich denn so toll daran finden würde alte Postkarten zu sammeln, ob es denn die Motive darauf wären oder die Marken oder die Stempel usw.?

Natürlich sind es die Motive, aber auch das nostalgische Abtauchen in die Zeit von vor über 100 Jahren. Es ist doch schon eine eigentümliche Sache, wenn man Karten liest von Menschen die alle nicht mehr leben, wo aber, meistens durch Zufall eine oder mehrere Postkarten, die sie mal schrieben, die Zeitenläufte überstanden haben, dies nur deshalb, weil Menschen die Karten aufhoben wegen der oft interessanten Motive darauf. Briefe der damaligen Absender sind wahrscheinlich aus diesem Grunde nicht aufgehoben worden, es sei denn Familienangehörige hoben sie privat auf, aber keinesfalls schwirren sie, wie die Postkarten jetzt, als aufhebenswerte Sammelobjekte bei fremden Menschen herum.

Es gibt ja Postkartensammler, die interessieren sich nur für die Motive darauf, möglichst von bekannten Künstlern gestaltet und damit wertvoll. Das ist bei mir etwas anders, denn mich interessiert außerdem auch immer, was denn so auf den Karten steht, von wem an wen sie geschrieben wurden, aus welchem Ort an welchen Ort, denn dies ist nicht minder interessant, schafft es doch eine ganz eigentümliche Verbindung zu einer Generation weit vor uns und den Umständen wie sie lebten und dachten.

Ich habe mal eine Karte eingescannt, siehe oben, die ich neben dem Motiv interessant finde. Das Motiv ist ein Foto welches künstlerisch verfremdet wurde, dies ganz ohne Computerfotoprogramm (lol), also auch schon damals konnte man das bestens! Das Bild zeigt nicht nur zwei Kinder in einer Schneelandschaft, sondern interessant ist auch die damalige Mode, wie der Kapuzenmantel des Jungen. Da denken nun Politniks die auf den Straßen bei Demos Randale machen, daß sie besonders modern wären, mit ihren Kapuzen, die sie sich über den Kopf ziehen, aber alles schon dagewesen, u.a. als Kindermode Anno 1903. Wie eine kleine Puppe sieht das Mädchen aus und die Bekleidung ist nicht gerade dazu geeignet um draußen wild zu spielen. Auf diesem Bild hat die Mode der Reformbewegung um 1900, die den Menschen befreite, noch nicht Einzug gehalten, sondern das Mädchen ist noch ganz im altmodischen Stil der Zeit vor 1900 angezogen worden.

Die Postkarte, mit einer 5-Pfennig-Marke frankiert, ist laut Stempeln am 6.6.1903 von Sandersleben (Anhalt) abgeschickt worden und am selben Tage (!) in Salzwedel angekommen. Absender war eine Hedwig (kein Nachname angegeben) die an eine Freundin namens Klärchen Osterwald in Salzwedel (Altmark) nur einen einzigen Satz schrieb: „Besten Dank für erhaltene Karte, sendet Dir Deine Freundin Hedwig.“ Wie sollte diese Hedwig auch mehr schreiben können, denn die Postkarten der damaligen Zeit waren eigentlich nicht dazu gedacht, daß auf Ihnen großartig geschrieben werden konnte, dazu war so gut wie nie Platz vorhanden. Für mehr, da waren ausschließlich Briefe da!

Was ich auch noch interessant finde, dies ist die Anschrift dieser Klärchen: An Fräulein Klärchen Osterwald, bei Herrn Rittmeister von Lind, Salzwedel, Altmark. Interessant deshalb, weil keine Straße auf der Karte angegeben ist, d.h. der Rittmeister schien in Salzwedel eine bekannte Persönlichkeit gewesen zu sein, wo die Straßenangabe nicht nötig war, der Postbote wußte wo das Haus zu finden ist. Rittmeister!? Auch dieser Titel ist aus einer mittlerweile fremden Welt, wer weiß heute schon noch was ein Rittmeister ist? Was allerdings zu vermuten ist, daß dieses Fräulein Klärchen in Stellung in dem Haushalt dieses Rittmeisters als Dienstmädchen oder als sonstiges Personal sich befand, was um 1900 keine Seltenheit war, wo unverheiratete unbemittelte Fräulein sich als Haushaltshilfen bei Adligen, aber auch bei Bürgerlichen, die nicht unbedingt sehr reich waren, sich für Kost und Logis verdingen mußten. Wie ich von meiner Großmutter weiß, betrug der Monatslohn für Dienstmädchen zur Kaiserzeit nicht mehr als 10 Reichsmark.

Alles das kann man mit ein wenig Kombinatssinn aus so einer Karte lesen, nichts weltbewegendes, aber ein Blick zurück in privates aus vergangener Zeit.

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